Etwa 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten gestern der Einladung der Evangelischen Kirchengemeinde und Pfarrerin Almuth Conrad zum stillen Gedenken an die Reichpogromnacht vor 84 Jahren.
2018 fand zum ersten Mal die Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht in Wermelskirchen statt. Damit die schrecklichen Taten, die in der Nacht des 9. Novembers 1938 von den Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung verübt wurden, niemals in Vergessenheit geraten. „Gegen das Vergessen“ stand deshalb auch auf dem Banner, das Konfirmandinnen und Konfirmanden hochhielten.
Mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine und im Iran mahnte Pfarrerin Almuth Conrad eindringlich: „Wir müssen hinschauen, damit niemand heimlich anderen Gewalt antun kann.“ Was wegschauen auslösen kann, hätte der Terror der Nazis gezeigt: „Viele Menschen hatten damals Angst und haben weggeschaut. Aber spätestens am 9. November 1938 hätte allen klar sein müssen, dass die Nazis nichts Gutes im Schilde führten.“
„Es sind nicht nur die schrecklichen Geschehnisse, die ganz aktuell in unserer Welt passieren, die uns zeigen, dass wir Demokratie, Freiheit und Frieden niemals für selbstverständlich hinnehmen dürfen“, sagte Bürgermeisterin Marion Lück. „Es sind genauso und insbesondere die Gräueltaten vom 9. November 1938, die in unserer Erinnerung lebendig bleiben müssen, die nie in Vergessenheit geraten dürfen. Denn an diesem Tag wurden in ganz Deutschland Synagogen zerstört, jüdische Geschäftshäuser geplündert und Deutsche jüdischen Glaubens verhaftet und getötet. Die Nacht vor 84 Jahren war der Beginn des größten Völkermordes in Europa. Damals wurden aus Freunden Feinde, aus Nachbarn Ankläger. Es sind die dunkelsten Stunden unserer Geschichte. Und es ist wichtig, dass wir sie niemals vergessen. Das sind wir den Opfern dieser Nacht vor 84 Jahren schuldig. Und auch uns selbst, weil wir alle Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass wir weiter frei und in Frieden leben können.“
An die zahlreichen Wermelskirchenerinnen und Wermelskirchener, die während des dritten Reichs verfolgt, gequält und getötet wurden, erinnerte Pfarrerin Conrad und deutete zum Haus in der Kölner Straße 3, vor dem drei Stolpersteine liegen. Stolpersteine zur Erinnerung an Esther Ilse Khan, ihre Schwester Edith und Mutter Anne. Sie alle verloren ihr Leben in der Gaskammer in Ausschwitz. Und sie erinnerte an den kleinen Hans Schopphoff, einen behinderten Jungen, der erst elf Jahre alt war, als er in Hadamar umgebracht wurde.
„Heute haben wir das unendliche Glück, in Frieden und Freiheit in unserer Stadt leben zu dürfen.“, sagte Marion Lück.
Das ist ein Geschenk, das Millionen Menschen während des NS-Regimes verwehrt wurde. Sie hatten nur die Sehnsucht nach Glück.
Wie die junge Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger, die 1941 das Gedicht „Das Glück“ für ihren Liebsten schrieb. Auf dem Weg in die Deportation konnte sie das Album mit ihren Gedichten noch einer Freundin zustecken, ihren Liebsten sah sie nie wieder. Sie starb 1942 völlig entkräftet im Zwangsarbeiterlager.
Selma wurde nur 18 Jahre alt.
Bürgermeisterin Marion Lück zitierte gestern das sehnsuchtsvolle Gedicht:
Das Glück
Schlafen möcht' ich,
Der Wind wiegt mich ein,
Und die Sehnsucht singt mich zur Ruh'.
Weinen möcht' ich.
Schon die Blumen allein
Flüstern Tränen mir zu.
Sieh die Blätter:
Sie blinken im Wind
Und gaukeln Träume mir vor.
Ja und später –
Lacht wo ein Kind,
Und irgendwo hofft ein Tor.
Sehnsucht hab' ich
Wohl nach dem Glück?
Nach dem Glück.
Fragen möcht' ich:
Kommt es zurück?
Nie zurück.